Eine Beziehungsgeschichte

Fr 23 November 2012
By Aaron

Ich lege eigentlich keinen großen Wert auf Jahrestage. Generell sind Fragen wie "Wie lange ist X her" sehr abstrakt für mich. Ich könnte behaupten so sehr in der Gegenwart, im Hier und Jetzt, verhaftet zu sein, tatsächlich hab ich aber einfach nur ein furchtbares Gedächtnis. Solange ich zurückdenken kann hab ich mich eher auf andere verlassen und die als meine "Chronisten" fungieren lassen.

Aus aktuellem Anlaß will ich aber kurz mit meinem Gegenwartsfokus brechen und stattdessen etwas über die Vergangenheit sinnieren, und euch eine kleine, feine Geschichte erzählen.

Eine Beziehungsgeschichte.

Die Beziehung hat sich ursprünglich sehr ... spontan ergeben. Ich hatte meine Partnerin zuerst auf der KIF in Ulm kennengelernt: Sie war eine der Teilnehmer*innen des AK Pornos, den Stettberger, Max und ich in Ulm organisiert hatten. Und ich fand sie schon damals furchtbar süß, mit nettem, schmutzigen Grinser, Wuschellocken und einer selbstbewußten Art die mir imponierte. (Oh, und sie war unglaubich sexy. Das könnte auch eine Rolle gespielt haben.)

Darum wusste ich aber  auch nicht so recht, wie ich näher ins Gespräch kommen sollte. War halt zu schüchtern. So blieb es also nur auf Small Talk Niveau. (Oder was im Kontext eines Sozial-AKs mit Sexualschwerpunkt halt als "Small Talk" zählt. XD ) Ich kiefelte damals auch noch an anderen Dingen, meine letzten Nichtbeziehungen waren noch nicht gänzlich verdaut und ich war erst am Anfang des aktuell laufenden Prozesses mein Leben aus dem depressiven Morast zu ziehen in dem es zu versinken drohte.

Ein paar Wochen später trafen wir einander wieder. Ich hatte die ICMP, die "Intergalaktische Club Mate Party", besucht (Eine Veranstaltung die für sich schon ein, zwei Blogposts wert wäre.) und hatte das Vergnügen liebe Leute in Bamberg zu besuchen, die ich ebenfalls über den AK Porno kennengelernt hatte. Sie gaben mir Obdacht und mehr Tee als vermutlich gesund war (Obwohl: Meine Nieren waren so durchspült wie noch nie zuvor.) und luden ein paar andere interessierte Wahnsinnige, doch eine informelle Fortsetzung des AKs von der KIF zu machen. Darunter nicht nur meine Wenigkeit, sondern auch die Person, die mir später so lieb werden sollte.

Man traf sich also in einem kuscheligen Eigenheim, es wurde gegessen und geredet, philosophiert und geteilt. In in dem ganzen Reden und "AK machen" kamen wir einander näher, es wurde geredet und geflauscht, und aus Flausch wurde ... naja, absolut epischer, unglaublich genialer Sex.

Zu diesem Zeitpunkt wusste ich folgendes von ihr:

  1. Ihren Namen
  2. Ihre Studienrichtung
  3. Ihre Uni
  4. Ihren Hang zu Kink

Jetzt könnte man sagen "Ok, ein cooler One Night Stand, passiert wohl jedem/jeder irgendwann mal" und ich bin mir sicher, in dem meisten Universen da draußen ist es auch genau dabei geblieben. Aber zum einem was MIR sowas noch nicht passiert (Alle meine Partner waren zuerst Freunde, und das länger. Das ich einfach so Sex mit jemandem hab den ich noch nicht wirklich kannte, das war ... neu.) und zum anderen wollten wir es beide nicht dabei belassen. (Nicht das wir das damals schon erkannt hätten. Aber rückblickend ist es ziemlich klar.)

Es fing direkt danach an, im kuscheligen Post-Sex Flausch, mit den episch eleganten Worten:

"Sag mal, wer bist du eigentlich, wenn du nicht auf irgendwelchen AKs irgendwelche süßen Typen vögelst?"

(Wer von uns beiden diese Worte ausgesprochen hat überlasse ich mal den geneigten Leser*innen zu entscheiden.)

Was machst du denn so? Was hörst du denn für Musik? Was isst du gerne? Kochst du gerne? Magst du Tiere? Welche denn? Und später: Gibt es jemand exklusiven in deinem Leben? Wie sehen denn deine Kinks aus?

Wir begannen einander sozial und emotional abzutasten, zu beschnuppern. Die Chemie war da, ein unausgesprochenes Interesse, eine Faszination, ein Gefühl, für das wir noch kein Wort hatten. Und dann musste ich abreisen, ab nach Wien, fort von Bamberg und dieser spannenden, erfüllenden Zeit. Wie's weitergehen würde war ungewiss. Doch schon am nächsten Tag begannen die Mails, das Interesse wollte nicht verschwinden...

Und eine Woche später war sie in Wien. Das Ticket hatte sie zwei, drei Tage gebucht, nachdem ich abgereist war und ihr Willen, mich so schnell wiederzusehen, war ein unglaubliches Gefühl für mich. Aufregung, Glück, Unglaube und Panik gaben sich die Klinke zu meinem Hirn in die Hand, beständig ging mir der Satz "Das passiert jetzt aber NICHT WIRKLICH!!!" oder Ähnliches durch den Kopf. Eine endlos wirkende Woche voller nervöser Chats und genervter Twitter Follower später stand ich Blut und Wasser schwitzend am Flughafen, umringt von Leuten, und wartete.

Wie viele wohl in der gleichen Situation waren? Um mich herum umarmten einander die Leute, ich fühlte mich wie in einem Film, alles fühlte sich unwirklich an, und dann ging die Tür auf und sie stand da und alles wurde still. Das nächste woran ich mich erinnere war die Wucht, mit der wir aufeinander prallten. Ich hob sie hoch, küsste sie und hielt sie nur im Arm. Keine Ahnung wie lange, aber es fühlte sich an wie eine Ewigkeit. Ich weiß noch wie ich verwundert feststellte, daß meine Arme nicht müde wurden. Es fühlte sich einfach unglaublich gut an.

Der erste Tag war ein einziger Gefühlssturm. Nervosität, Aufregung, Glück, Geborgenheit, Angst, und über, unter und durch all das hindurch dieses Gefühl das wir uns noch nicht auszusprechen trauten, dem wir noch nicht den Namen geben konnten, den es eigentlich damals schon verdient hätte. Seit der KIF hatten wir noch keine 72 Stunden in der Gegenwart des Anderen verbracht. Insgesamt.

Eine Stimme in meinem Kopf meinte immer noch, wir seien eigentlich Fremde.

Abends lagen wir einander in den Armen, sahen einander an, Tränen liefen uns die Wangen herunter, doch Worte fanden wir keine. Zu groß fühlte sich das alles an, zu schnell, zu mächtig. Wir hatten Angst. Wir kannten einander doch kaum, wie konnte das so kommen?

Der nächste Morgen fand uns ruhiger, gesetzter, entspannter. Der Sturm des vorherigen Tages hatte sich gelegt, die Wogen geglättet, man entschied sich für eine Stadttour. Ich liebe es Leuten Wien zu zeigen, seine kleinen Ecken, die Bekannten und die Versteckten. Meine Tour ist individuell und doch typisch ich: Kaum Sehenswürdigkeiten, dafür Sexshops. Mehr Streetart als hohe Kultur, mehr Savoy als Sacher, mehr Donaukanal als Stephansdom. Menschen meine Wahlheimat zu zeigen, das ist eine der schönsten Sachen überhaupt, denn die Stadt die man so gern hat durch die Augen der anderen zu sehen, daß ist was besonderes.

So durchwanderten wir die Stadt, über alles mögliche redend, und irgendwann kamen wir dann zum Prater. Ich war seit Jahren nicht mehr dortgewesen, doch verband ich einige angenehme Erinnerungen damit und der Ort ist skuril genug, als das man ihn gesehen haben sollte. So wurde er spontan Teil der Tour. Wir wanderten durch ihn durch, sahen Attraktionen und Rides, vorbei an Riesenrad und Uralt-Geisterbahn, und ich schwadronierte unterhaltsam über die zwielichtige Natur der Wirtschaft um den Wurschtelprater, den Archetyp des "Strizis" und ähnliche Details der Wiener Kultur, als ich plötzlich merkte, wie grundlegend anders sich dieser Tag anfühlte, im Vergleich zum voran Gegangenem.

War der erste Tag noch Gefühlssturm und Aufregung, so war der zweite Vertrautheit und Ruhe. Hatte sich erst noch alles neu und erschreckend und ungewohnt angefühlt, so war jetzt alles entspannt, angenehm, beruhigend und ... vertraut. Etwas war grundlegend anders, als hätten wir irgendwann zwischen gestern und heute ein Tor durchschritten ohne es zu bemerken, als wäre eine Entscheidung gefällt worden und wir hötten es nur noch nicht mitbekommen. Es fühlte sich an wie eine Beziehung.

Mein erster Gedanke war klar, explizit und ich erinnere mich an ihn als wäre es gestern gewesen:

"Aaron, was auch immer du jetzt machst, SAG KEIN WORT! Du kannst jetzt auf KEINEN FALL sagen, daß sich das hier nach Beziehung anfühlt! Du bist halt ein touchy-feely Typ, du fängst schnell mal zu klammern an, DAS IST NUR IN DEINEM KOPF!!! Wenn du sie jetzt damit überfällst wird sie schreiend wegrennen! SAG NICHTS!!!"

Ich war noch nie jemand, der seine Klappe halten konnte. Mit entsetztem Gefühl beobachtete ich mich dabei, wie ich den Mund aufmachte und genau das sagte, was die Stimme in meinem Kopf mich anflehte nicht zu sagen. Das sich das hier nicht mehr so anfühlt, als hätten wir uns gerade erst kennen gelernt. Das sich das nach mehr anfühlte. Das es sicher, gut und vertraut wirkte. Das es sich anfühlte wie eine Beziehung.

Ihr erleichtertes Lachen lies die Panik in mir schmelzen, als sie sagte "Zum Glück geht es nicht nur mir so." Es folgte ein interessantes Gespräch, als wir feststellten wie anders wir beide drauf waren seit wir einander kannten. Das ich eigentlich das volle Neuroserl sei (Ihre Reaktion: O_o ), das sie eigentlich voll die Gestresste wäre (Reaktion Aaron: Dafuq?),  und wie beides in letzter Zeit einfach nicht DA WAR. Wie ruhig und sicher wir uns fühlten, wie sehr wir das genossen, wie gut wir einander taten.

Doch noch war nichts fix. Noch war es unausgesprochen.

Eine Nacht und einen gemeinsamen Ausflug ins Krankenhaus später (Fragt nicht. War aber sehr spannend. Gute Bonding-Erfahrung, sowas.) saß ich an meinem PC und chattete, sie hinter mir am Bett und checkte Mails. Zwei Geeks an ihren Laptops. Ich hatte Seba seit zwei Tagen hingehalten, versprochen mal zu schreiben was so abging, und jetzt hatte ich endlich die Gelegenheit dazu. Ich beschrieb die wechselhaften Tage bisher, die Gefühlsorkane des ersten Tages, die ruhige Verbundenheit des Zweiten, erzählte von intensiven Gesprächen, davon das es sich gut und nach mehr anfühlte, aber noch nichts geklärt war.

Aus einem Impuls heraus wurde ich in dem Moment plötzlich unsicher, machte mir Sorgen etwas vielleicht nicht korrekt wieder zu geben, wollte Bestätigung. Ich rief sie zu mir, zeigte ihr das Chatlog und bat sie doch einmal drüber zu lesen. Damit ich keinen Blödsinn schrieb. Sie las ruhig und konzentriert das Chatlog, ich saß, sie stand, meine Hand streichelte ihre Hüfte. Sie nickte mir zu, meinte das würde so passen. Als letztes hatte ich geschrieben, daß es sich "anfühlt wie eine Beziehung, aber es ist noch nichts geklärt, noch nichts fix.".

Aus einem Impuls heraus begann ich zu schreiben während sie weiter neben mir stand, ich spürte sie an meiner Schulter, hatte einen einzelnen Satz geschrieben, aber mein Finger schwebte über der Entertaste, die ihn abschicken würde.

"Und dieser Satz, passt der auch?"

Sie beugte sich zum Bildschirm, las den Satz der da in meiner Eingabezeile stand, ein breites Lächeln, ein Kuss auf meine Stirn, ein "Ja, der passt auch". Ich drückte Enter, Stromimpulse jagten durch Schaltkreise, und im Chatlog erschien der Satz den ich getippt hatte:

"Und irgendwie fühlt sich das jetzt so an als hätte ich eine Freundin."

Und das passte so

Vor drei Monaten entschlossen sich zwei Menschen die einander noch nicht lange kannten ein Wagnis einzugehen. Sie ließen sich auf eine Beziehung ein, obwohl es so schnell gegangen war. Obwohl es noch andere Partner gab. Obwohl es eine Fernbeziehung war. Obwohl sie Angst hatten. Unsicher waren. Zweifel hatten.

In diesen drei Monaten bildete sich etwas wunderbares, etwas spannendes, lehrreiches, aufregendes, unglaubliches. Ängste wurden angesprochen, Unsicherheiten geklärt, Zweifel ausgeräumt. Beziehungsgraphen wurden gezeichnet, Partner kennengelernt und Familie getroffen. Es war nicht immer einfach, oder leicht, aber es war es immer wert.

Die Beziehung begann mit einer spontanen Frage, weil es sich richtig anfühlte, obwohl es scary war.

Ich habe es seither nicht bereut.

<3